LANGZEITSTILLEN - "WIE, DU STILLST IMMER NOCH?"
Wer länger als der Durchschnitt stillt, bekommt häufig ungläubige Blicke und spitze Bemerkungen – und das natürlich komplett ungefragt.
Besonders interessant dabei ist, dass es eine Art ‚zeitliche Toleranzgrenze‘ zu geben scheint. So bekommen Mamas, die gar nicht oder nur kurz stillen, nicht selten zu hören: „Was, du stillst nicht?“. Was nach der Geburt anscheinend von uns Mamis erwartet und als normal empfunden wird, verliert im Laufe der Zeit die Akzeptanz im Umfeld. Auch Fragen wie „willst du deinem Kind nicht mal was Richtiges zu essen geben?“ oder „wird dein Baby überhaupt noch satt?“ erfreuen sich mitunter großer Beliebtheit – und nicht selten aus dem eigenen Familien- und Bekanntenkreis. Auch wenn man sich vornimmt, über solche Sprüche nur müde zu lächeln, trifft es einen meistens doch. Man kommt ins Zweifeln, ist verunsichert.
ABER WARUM IST DAS SO?
Löst der Anblick eines kleinen Säuglings an der Brust entzückte Kommentare aus, so wird ein sich stillendes Kleinkind, das womöglich schon sprechen und laufen kann, als befremdlich wahrgenommen.
Die gängige Meinung scheint es zu sein, dass spätestens mit dem ersten Geburtstag mit dem Stillen Schluss sein muss. Oder zumindest fehlt es im Bekanntenkreis an Beispielen fürs Stillen darüber hinaus. Anspielungen, dass man immer noch stillt, machen das Ganze nicht besser. Schnell fühlt man sich als würde man etwas falsch machen und nimmt die Situation sogar selbst als fragwürdig wahr.
Da heißt es, drüber stehen und sich auf sein eigenes Gefühl zu verlassen. Und wenn die eigene Intuition einem sagt, dass sein Kind noch nicht zum Abstillen bereit ist, dann ist das so. Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Einige wollen schon mit wenigen Monaten mit dem Start der Beikost immer weniger an die Brust, andere sind auch mit 18 Monaten noch kleine ‚Brustjunkies‘.
Es ist doch schade, dass Mamas, die eine erfolgreiche Stillbeziehung mit ihrem Mini haben, vorzeitig abstillen, „nur“ weil sie sich vom Umfeld nicht akzeptiert fühlen. Solange sich beide in der Stillbeziehung wohlfühlen, sollte dem Langzeitstillen nichts im Wege stehen.
Nicht selten ist auch der Wiedereinstieg in das Berufsleben Grund für das Abstillen. Doch auch trotz Karriere kann man weiterstillen. Zugegeben, es erfordert mitunter etwas Organisation. Die meisten Kinder mit über einem Jahr möchten jedoch nicht mehr alle zwei Stunden an die Brust. Der Stillrhythmus lässt sich leichter an die Arbeitszeiten anpassen. Auch Abpumpen oder Zwiemilch sind eine Option.
Leider ist die Stillakzeptanz am Arbeitsplatz noch lange nicht da, wo sie sein sollte.
Nach einer Studie von Lansinoh fehlt rund 46 Prozent der berufstätigen Mütter die Unterstützung ihres Arbeitgebers, wenn sie am Arbeitsplatz stillen oder abpumpen möchten¹.
WIE LANGE STILLEN FRAUEN IN DEUTSCHLAND IM DURCHSCHNITT?
Nach der Studie KIGGS Welle 2 des Robert-Koch-Institut (RKI) stillen Mütter in Deutschland durchschnittlich 8 Monate (jegliches Stillen).
Jedoch nur 13 Prozent der Mütter stillen bis zum 6. Monat ausschließlich. Und das, obwohl rund 90 Prozent der werdenden Mamis vor der Geburt angaben, eine Stillabsicht zu haben. Nur rund 16 Prozent stillen der Studie zufolge länger als ein Jahr².
WAS HEIßT EIGENTLICH LANGZEITSTILLEN ODER LÄNGER STILLEN?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, sein Baby sechs Monate ausschließlich zu stillen. Außerdem soll mit dem Beginn der Beikost mindestens bis zum Alter von 24 Monaten weiter nach Bedarf gestillt werden – gerne darüber hinaus³.
Im Endeffekt gibt es für das Langzeitstillen keinen festen Zeitraum. Während viele das Stillen über das erste Lebensjahr hinaus schon als lang empfinden, ist für andere das Stillen auch noch im Kleinkindalter das Normalste von der Welt.
Wie lange du dein Baby stillst, ist eure individuelle Entscheidung. Nur weil dein Baby mit einem Jahr offiziell zum Kleinkind wird, heisst das nicht, dass ihr Abstillen müsst.
Wenn du gerade Mama geworden bist und noch am Anfang deiner Stillreise stehst, setzt dich nicht unter Druck, wie lange du stillen möchtest. Ihr werdet euren Weg finden – egal, ob dieser kurz oder lang sein wird.
Nicht selten stillen Frauen, die eigentlich gar nicht stillen wollten, über den ersten Geburtstag ihres Kindes hinaus und umgekehrt. Wenn dich ehrliche Erfahrungsberichte zu diesem Thema interessieren, schau doch mal bei der Story „Von der potentiellen Fläschchen-Mami zum Langzeitstillen“ bei uns Milchmamis vorbei.
WELCHE VORTEILE HAT LANGZEITSTILLEN?
Die positiven Effekte der Muttermilch auf das Immunsystem deines Kindes sind unbestritten. Die Muttermilch passt sich in ihrer Zusammensetzung den Bedürfnissen deines Babys an und verändert sich im Laufe der Zeit.
Also, warum diesen tollen natürlichen „Gesundheitsbooster“ nicht länger nutzen?
Aber nicht nur dein Kind profitiert vom Stillen. Untersuchungen zufolge soll bei Frauen, die über zwölf Monate gestillt haben, das Risiko beispielsweise an Brust-, oder Eierstockkrebs, Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 zu erkranken, sinken⁴.
Vielleicht gehört dein Kind auch nicht zu den besten Essern. Durch die Muttermilch bekommt es eine Extra-Portion Nährstoffe und Kalorien.
Stillen ist einfach praktisch, denn man hat immer einen wohltemperierten Snack „im Gepäck“. Nachts ist das besonders hilfreich: Es müssen keine Fläschchen zubereitet werden, man kann komfortabel im Liegen stillen – und im besten Fall einfach dabei weiterschlafen. Stillen ist aber nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern so viel mehr: Geborgenheit, Wärme und Nähe – Mamas Brust ist für viele Kinder der „Safe Space.“ Ob als Einschlafhilfe, bei Krankheit oder zur Beruhigung: Beim Stillen können die meisten Kinder wunderbar entspannen.
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UND DIE SCHATTENSEITEN?
Der größte „Nachteil“ beim Langzeitstillen ist für viele Mamas sicherlich die Abhängigkeit. Auch wenn man Muttermilch abpumpen kann, ist meistens die Mama die zentrale Anlaufstelle bei Hunger, Trost oder Müdigkeit – und das kann schlauchen und einengen. Besonders das nächtliche Stillen über einen langen Zeitraum kann ganz schön mürbe machen.
Hinzu kommen vielleicht Entbehrungen und Einschränkungen beim Essen und Trinken.
Jede stillende Mama hat bestimmt schon einmal ans Abstillen gedacht. Und das ist vollkommen okay! Meistens berappelt man sich wieder.
Aber wenn du tatsächlich an den Punkt kommst, abzustillen, dann mach es. Zu einer Stillbeziehung gehören immer zwei. Mit dem Stillen aufzuhören, hat nichts mit Versagen oder schlechte Mutter sein zu tun. Es ist ein auf sich Acht geben, und davon profitieren im Endeffekt Mama und Kind.
WIE OFT STILLEN BEIM LANGZEITSTILLEN?
Der Stillfrequenz sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt. Du kannst auch wenn dein Baby älter wird so oft stillen, wie ihr es möchtet. Wichtig ist nur, dass das Stillen nicht der Beikost beziehungsweise dem Übergang zu fester Nahrung in die Quere kommt. Man sagt, spätestens mit dem Beginn des siebten Lebensmonats mit der Beikost (Brei, BLW) zu starten. Ab einem gewissen Entwicklungsstadium deckt die Muttermilch alleine nicht mehr den Nährstoff- und Energiebedarf deines Kindes – vor allem den Eisenbedarf⁵.
Einige Stillen zuerst in der Nacht ab, andere tagsüber. Das hängt natürlich auch ein bisschen von der Lebenssituation ab. Möchte ich früher oder später wieder im Beruf durchstarten oder länger zu Hause bleiben?
7 TIPPS ZUM LANGZEITSTILLEN
- Macht euch keinen Druck!
Bleib gelassen! Es kommt bekanntlich häufig anders, als man denkt. Deshalb mach dir nicht zu viele Gedanken, wie lange du stillen möchtest. Es gibt kein allgemeingültiges Patentrezept. Steck dir keine zu hohen Ziele, sondern schau, was sich für euch gut anfühlt.
- Eine Frage des Timings
Wenn du Langzeit stillst, musst du nicht mehr nach Bedarf stillen. Es gibt Kleinkinder, die auch mit zwei Jahren noch häufig an die Brust möchten. Wenn es für euch beide in Ordnung ist, dann spricht nichts dagegen.
Es ist aber auch okay, wenn du längere Pausen zwischen den Stillmahlzeiten brauchst. Einige Mamas stillen nur noch zum Einschlafen und/oder in der Nacht. Einige nur noch tagsüber zu festen Zeiten. Dein Kind wird anfangs vielleicht über die neuen „Stillregeln“ protestieren, sich aber mit der Zeit anpassen.
- Keine Angst vor Überstillen
Mach dir keine Sorgen, dass dein älteres Kind vielleicht gar nicht mehr gestillt werden möchte. Kein Kind, dass es nicht möchte, trinkt an der Brust. Und der Vorteil ist, dass ältere Kinder einfach vermitteln können, was sie möchten und was nicht.
- Keine böse Absicht
Aufklärung kann helfen: Nicht jeder verteilt einfach unpassende Sprüche, viele stecken einfach gar nicht tief genug in der Thematik drin. Gehe offensiv vor und berichte, warum du noch stillst und welche Vorteile es mit sich bringt.
- Positionswechsel
Je größer das Kind wird, umso schwieriger kann es werden, eine gemütliche Stillposition zu finden. Man hat eben kein Mini-Baby mehr auf dem Schoß, das man in alle möglichen Positionen bringen kann. Solange es für Mama und Kind bequem ist, gibt es auch hier kein richtig oder falsch. Viele ältere Kinder bevorzugen eine aufrechte sitzende Position mit Mamas Arm als tragende Stütze. Besonders in der Nacht ist eine liegende Position auch für ältere Babys eine gute Still-Alternative.
- Mitternachtssnack
Viele Kleinkinder möchten weiter in der Nacht gestillt werden. Auch hier gilt, wenn es für dich in Ordnung ist, macht es.
Wenn du wieder arbeitest und nicht morgens total gerädert in den Arbeitstag starten möchtest, reduziere die Stillmahlzeiten in der Nacht. Anstatt der Brust kannst du deinem Kind Wasser anbieten und versuchen es mit einer Kuscheleinheit zu beruhigen.
Manchmal hilft es auch, wenn der Partner für ein paar Tage die Nachtschicht übernimmt. Einige Kinder lassen sich leichter beruhigen oder wollen gar nicht an der Brust trinken, wenn der verführerische Muttermilchduft von Mama nicht in der Luft liegt.
Wenn es nicht klappt, warte einige Wochen und starte einen neuen Versuch.
- Schwangerschaft und Stillen
Das Stillen keine verlässliche Verhütungsmethode ist, ist bekannt. Durch den erhöhten Spiegel des Hormons Prolaktin kann der Eisprung ausbleiben. Dennoch, auch die Zyklusfrage ist individuell: Einige Frauen haben bis sie Abstillen gar keinen Zyklus, andere trotz regelmäßigem Stillen schon wieder nach wenigen Monaten und noch andere sind kurz nach der Geburt bereits wieder schwanger.
Auch eine erneute Schwangerschaft ist grundsätzlich kein Grund abzustillen. Berate dich hier am besten mit deinem Gynäkologen, Hebamme oder Stillberaterin.
QUELLEN
- ¹Lansinoh, Immer mehr Frauen sind vom Stillen überzeugt. Aber: Stillende benötigen dringend mehr Unterstützung, 29. Juli 2021: https://lansinoh.de/pages/neue-lansinoh-umfrage-zur-weltstillwoche
- ²Robert-Koch-Institut Berlin, Anna-Kristin Brettschneider, Elena von der Lippe, Cornelia Lange, Stillverhalten in Deutschland Neues aus KiGGS Welle 2, 2018, https://edoc.rki.de/handle/176904/6797
- ³WHO, Infant and young child feeding, 9. Juni 2021, https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/infant-and-young-child-feeding
- ⁴WHO, Continued breastfeeding for healthy growth and development of children, Juli 2017: https://www.who.int/elena/titles/bbc/continued_breastfeeding/en/
- ⁵ WHO, Infant and Young Child feeding. Model Chapter for textbooks for medical students and allied health professionals, S.15, 2009: https://apps.who.int/iris/handle/10665/44117
ÜBER DIE MILCHMAMIS
Hallo, wir sind Stephie und Jessi - Jungsmamas, Stillmamas, Flaschenkinder und Gründerinnen der Plattform „milchmamis.de.“
Mit unserem Start ins Abenteuer Baby haben wir festgestellt, dass es mit dem Stillen gar nicht so einfach ist wie gedacht. Auch von unserer entspannten Haltung vor der Geburt "entweder klappt es oder eben nicht" war plötzlich nicht viel übrig.
Je mehr wir mit anderen Mamas sprachen, umso deutlicher wurde, dass wir mit unseren Schwierigkeiten nicht alleine sind. Aber auch, dass die Herausforderungen beim Stillen sehr vielfältig und individuell sind.
Also warum nicht einen Ort schaffen, an dem uns Mamas authentische Einblicke in ihre (Still-)Geschichten geben? Ganz ohne Fingerzeig und Wertung. Weil stillen bunt ist und auch Fläschchen geben Liebe ist. Und da waren sie - die Milchmamis!
Mit ehrlichen Geschichten und jeder Menge Hintergrundwissen wollen wir Frauen Mut machen, ihren eigenen Weg zu finden.
Wir freuen uns auf eure Erfahrungsberichte und Anregungen auf milchmamis.de oder per Email an hallo@milchmamis.de. Du findest uns übrigens auch auf Insta @Milchmamis.
Stephie und Jessi von den Milchmamis
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