EXPERTINNEN-INTERVIEW MIT PSYCHOLOGIN NATALIE SAMIMI - TEIL 3
POSTPARTALE DEPRESSION: ERSTE SCHRITTE & ANLAUFSTELLEN
Postpartale Depression? Wir alle kennen den Begriff ‚Mental Health‘, der für die psychische Gesundheit steht. Bei ‚Momtal Health‘ geht es um das emotionale, körperliche und soziale Wohlbefinden von Schwangeren und Müttern. Wir haben ihn kreiert, um mit Momunity auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen, es zu enttabuisieren und entstigmatisieren.
Dazu gehört unter anderem auch die Wochenbettdepression. Wusstest du, dass 10 bis 15 Prozent aller Frauen weltweit davon betroffen sind? Im dritten und letzten Teil unseres Expertinnen-Interviews erklärt Psychologin & Therapeutin Natalie Samimi, welche ersten Schritte du beim Verdacht auf eine Postpartale Depression unternehmen kannst und welche Anlaufstellen es gibt.
Welche Schritte können Mütter unternehmen, wenn sie die Selbstdiagnose Postpartale Depression stellen?
Zunächst ist es wichtig, über die eigenen Gefühle zu sprechen, sich derer nicht zu schämen und sich Unterstützung zu holen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Gedanken kann durch eine gute psychologische Begleitung einen großen Heilungsprozess mit der eigenen Geschichte, der eigenen Bindungserfahrung oder alten Traumata in Gang setzen.
Wenn man merkt, dass irgendwas in den Monaten nach der Geburt nicht stimmt, sollte zunächst mit dem Partner oder der Partnerin, der Hebamme oder Ärzt*in geredet und der EPDS Fragebogen – ein Selbstauskunftsbogen – ausgefüllt werden. Sicherlich setzt dieser Schritt des Erkennens aber auch eine gewisse Sensibilität voraus. Wichtig ist es dann, mutig weiterzugehen und nicht auszuhalten, sondern sich und seine Gefühle ernst zu nehmen, zu sagen: “Da ist was und ich kann etwas dagegen tun.”
Es ist wichtig, nicht auszuhalten, sondern seine Gefühle ernst zu nehmen.
Dabei zu wissen, dass es ganz vielen Frauen so ergeht und es absolut nichts Schlimmes ist und dass es Menschen gibt, die sich damit auskennen, kann helfen, den Schritt zu wagen, professionelle Unterstützung zu suchen und anzunehmen.
Im Idealfall ist es als erstes die Hebamme, mit der man über die eigenen Gedanken und Gefühle sprechen kann. Oder man vereinbart direkt einen Termin bei Hausärzt*innen oder Gynäkolog*innen. Denn vor jeder psychischen Diagnose braucht es erst mal eine medizinische Abklärung. Da wird beispielsweise geschaut, ob die Schilddrüsen- oder Blutwerte in Ordnung sind und ob es nicht einen anderen, medizinischen Grund für eine Verstimmung geben könnte. Ist dies geklärt, kann ich als Anlaufstelle die Webseite Schatten und Licht e.V. empfehlen. Das ist für Deutschland die Seite, auf der man wohnortsnah Selbsthilfegruppen, Kliniken oder Therapeut*innen findet.
ERSTE ANLAUFSTELLEN IM ÜBERBLICK
- EPDS-Fragebogen zur Selbsteinschätzung
- Schatten & Licht e.V. – hier findet ihr Selbsthilfegruppen, Kliniken oder Therapeut*innen in eurer Nähe
- Marcé-Gesellschaft mit Adressliste für Aufnahmestellen sowie Literaturtipps und weiteren Infos
- Mutter-Kind-Behandlung mit Infos zu Postnatalen Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten
- Wochenbettdepression-Hotline für das Rhein-Main-Gebiet
Wie lange dauert eine Therapie bei einer postpartalen Depression in der Regel?
Die Dauer einer Therapie ist ganz unterschiedlich und hängt von der Schwere der Depression ab. Wenn die Postpartale Depression nur in einer leichten Form besteht, reichen ein paar ambulante Gesprächstermine. Je schwerwiegender die Störung ist, desto intensiver ist auch meist die Therapie und kann dann sogar über Jahre gehen. Manche Frauen gehen dazu auch in die Klinik, bestenfalls natürlich gemeinsam mit ihrem Kind.
Sind die ambulanten Therapiestunden allein oder mit Kind?
Bei mir in der Praxis sind die Therapiestunden in der Regel erst einmal allein, denn ich möchte der Frau ihren Platz geben. Wenn im Verlauf der Gespräche klar wird, dass es viel um die Interaktion mit dem Kind geht, sollte es ebenfalls mal dabei sein. Zunächst sollte die Frau dort aber einen Raum und Zeit für sich allein haben – und das ist auch sehr wichtig, damit der Fokus wirklich ganz und gar auf der Mutter liegt.
In der Therapie sollte die Frau den Raum und die Zeit für sich allein haben.
Werden die Kosten bei einer postpartalen Depression von der Krankenkasse übernommen oder tragen die Frauen die Kosten selbst?
Das kommt auf den bzw. die Psycholog*in an. Ist er oder sie approbiert und hat einen Kassensitz, kann man die Therapiestunden über die Krankenkasse abrechnen.
Inzwischen gibt es in diesem Bereich vermehrt Online-Angebote. Wie hast du deine Therapien während der Pandemie abgehalten?
Beide Therapieformen waren in der Pandemie möglich, denn als Therapeut*in durftest du mit Einhalten der Hygieneregeln und vorherigem Testen auch in der Praxis Therapiestunden durchführen. Gerade für Frauen im Wochenbett kann eine Online-Therapie sehr sinnvoll sein, da sie in dieser Zeit ohnehin wenig rausgehen und sich schonen sollten. Andere Frauen wiederum wollten unbedingt raus – auch verständlich in der Lockdown-Situation, die insbesondere für Mütter und Eltern schwierig war.
Glaubst du, dass auch digitale Orte wie die Momunity App sich positiv auf die mentale Gesundheit von Müttern auswirken, weil sie dort auf Gleichgesinnte treffen, die eine ähnliche Geschichte teilen und sich verstanden fühlen?
Ja, das glaube ich durchaus. Orte, die Mütter in ihren speziellen und teilweise einsamen Situationen, Bedürfnissen und Gefühlen zusammenführen, sind gut und wichtig. Grundsätzlich sollten sich Mütter vielmehr gegenseitig unterstützen, mitfühlend sein und weniger in Konkurrenz gehen. Gegenseitiges Verständnis, Unterstützung und sozialer Austausch sind das eine, was sehr gut tut. Das andere, was ich als wichtig empfinde, ist, einen Raum mit Gleichgesinnten teilen zu können, in dem jegliche Gefühle Platz haben, ohne dass man vorschnell verurteilt wird.
Lies auch die weiteren Beiträge aus dieser Interview-Reihe:
NATALIE SAMIMI
Als Psychologin, Systemische - und Hypnotherapeutin begleitet Natalie Samimi Menschen aller Altersstufen in Krisen- und Entscheidungssituationen. Ihre Leidenschaft gilt jedoch dem Thema Postpartale Depressionen. Denn während ihrer früheren Arbeit als Hebamme und Stillberaterin hat sie gemerkt, wie groß der Bedarf bei Frauen und Familien und wie wenig erforscht der ganze Bereich auch heute noch ist. Der Expertin liegt es besonders am Herzen, für das Thema zu sensibilisieren und der Diagnose ‘Wochenbettdepression’ ihren Schrecken zu nehmen.
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