EXPERTINNEN-INTERVIEW MIT PSYCHOLOGIN NATALIE SAMIMI - TEIL 2
POSTPARTALE DEPRESSION: UNTERSTÜTZUNG IM WOCHENBETT
Wir alle kennen den Begriff ‚Mental Health‘, der für die psychische Gesundheit steht. Bei ‚Momtal Health‘ geht es um das emotionale, körperliche und soziale Wohlbefinden von Schwangeren und Müttern. Wir haben ihn kreiert, um mit Momunity auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen, es zu enttabuisieren und entstigmatisieren.
Dazu gehört unter anderem auch die Wochenbettdepression. Wusstest du, dass 10 bis 15 Prozent aller Frauen weltweit davon betroffen sind? Im zweiten Teil unseres Expertinnen-Interviews mit der Psychologin & Therapeutin Natalie Samimi erfährst du mehr darüber, wie wichtig Unterstützung im Wochenbett ist und ob es möglich ist, einer Postpartaldepression vorzubeugen.
Welche Rolle spielt der/die Partner*in? Wie kann er/sie im Falle einer Postpartalen Depression unterstützen?
Wenn es eine*n Partner*in an der Seite der Mutter gibt, ist das wunderbar für erste Gespräche und die Versorgung im Wochenbett. Leider gibt es in Deutschland – und da spreche ich noch aus meiner Erfahrung als Hebamme – kaum eine Wochenbettkultur. Frauen wollen schnell wieder funktionieren, anstatt sich wirklich zurückzunehmen und in Berührung mit dem Baby, sich selbst und als Familie zu kommen. Dabei ist die körperliche und psychische Regeneration nach der Geburt so wichtig.
Übrigens leiden auch fast zehn Prozent der Männer unter einer Wochenbettdepression. Das ist noch gar nicht so lange erforscht, aber auch eine sehr hohe Zahl und deshalb sehr wichtig zu erwähnen. Manche von ihnen müssen die Geburt verarbeiten und treffen auf große Herausforderungen in der neuen Rolle als Vater oder in der Partnerschaft.
Leider gibt es in Deutschland keine Wochenbettkultur.
Gibt es Möglichkeiten, um Postpartaler Depression vorzubeugen?
Wenn Frauen Depressionen bereits in der Anamnese haben oder in der Schwangerschaft entwickeln, sollten sie bestenfalls schon im Vorfeld mit der Hebamme besprechen, wie sie versorgt werden können. Sie können ebenfalls mit ihrer Gynäkologin reden und gegebenenfalls eine psychotherapeutische Begleitung wahrnehmen.
Der Punkt ist aber, dass es wirklich jede Frau betreffen kann. Solche Frauen, die vorher schon mal in Berührung mit einer Depression gekommen sind, haben in dieser Situation vielleicht schon eine Bewältigungsidee. Für Frauen, die jedoch noch nie mit psychischen Störungen zu tun hatten, führt dies nicht selten zu einem totalen Ausnahmezustand.
Es ist gut, schon in der Schwangerschaft über den Punkt der Geburt hinauszudenken. Denn eine gute Versorgung durch den Partner*in, Eltern oder Freunde im Wochenbett sollte zur Regeneration und Verarbeitung unbedingt geplant und vorbereitet sein. Aber auch trotz einer guten Nachsorge kann es natürlich passieren, dass Frauen nach der Geburt eine postpartale Depression entwickeln, sodass man nicht unbedingt “vorbeugen” kann.
Und vielen Frauen fällt es unheimlich schwer, im Wochenbett Hilfe anzunehmen, sich zu schonen und die Zeit zu nehmen, die man braucht.
Ja, aber genau das ist der Punkt. Viele Frauen haben ein inneres Getriebensein und können für die Zeit des Wochenbetts nicht ganz abgeben. Sie machen dann doch noch mal schnell zwischendurch die Waschmaschine an oder holen die Geschwisterkinder von der Kita ab und kommen nicht wirklich zur Ruhe.
Das passiert aber auch, weil wir in Deutschland keine Wochenbettkultur haben und niemand den Müttern gesagt hat: “Eine Woche im Bett, eine Woche um das Bett herum und eine Woche in der Nähe des Bettes” Aber so ist es nunmal. Mit etwas mehr gesellschaftlicher Aufklärung und einer selbstverständlichen Wochenbettkultur würden die Frauen sich selbst weniger Druck machen, z. B. dass alle Verwandten gleich nach der Geburt zu Besuch kommen und der Körper schon wieder perfekt aussehen muss.
Ich sehe das als Kontinuum unserer deutschen Geschichte. Nichtstun wird immer gleich negativ gewertet. Von meiner Arbeit als Hebamme weiß ich allerdings auch genau, wie Narben nach dem Kaiserschnitt aussehen, wenn die Frauen sich nicht schonen, wie ihr Beckenboden aussieht, wenn sie zu schnell machen, wie es um das Stillen steht oder wie viele Tränen geflossen sind. Frauen dürfen sich erlauben in die Ruhe zu kommen, um die Geburt zu verarbeiten und in die Begegnung mit dem Baby.
Es ist auch spannend, dass der Körper Frauen durch Symptome wie etwa einen Milchstau in eine innere Ruhe bringt. Auch eine Postpartaldepression kann ein Symptom sein, um in Berührung von tieferliegenden eigenen Themen zu kommen. Es ist gut damit in Verbindung zu kommen und sich von anderen (Fach-)Menschen begleiten zu lassen.
Viele Frauen haben ein inneres Getriebensein, weil Nichtstun immer gleich negativ gewertet wird.
Psychische Erkrankungen sind gesellschaftlich ein großes Tabuthema. Mamas fällt es vermutlich besonders schwer, offen darüber zu reden, weil Mutterschaft mit reinem Mutterglück verbunden wird. Bleibt dies aus, fühlen sie sich schlecht oder zweifeln an sich. Wie können wir Mütter dazu ermutigen, offen über ihre Gefühle zu sprechen und sich nicht dafür zu schämen?
Am sinnvollsten sehe ich gesundheitliche Aufklärung und den Mut zur Prävention. Es sollte beispielsweise schon in der Schule unterrichtet werden, dass mentale Verstimmungen entstehen können und auch behandelt werden können. Vielleicht auch durch öffentliche Plakate der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder Berichterstattungen in den (sozialen) Medien – und das ohne diesen Schrecken dahinter.
Aber allem voran sehe ich es als essentiell an, dass es auch die Fachmenschen, wie Gynäkolog*innen und Hebammen stärker thematisieren. Da passiert bisher in meinen Augen nur ganz wenig. Vor allem Kinderärzt*innen schauen bei den U-Untersuchungen nur auf das Kind. Eigentlich sollte aber auch die Mutter gefragt werden: Wie geht es Ihnen? Schlafen Sie genug? Wie ist Ihr Stresslevel? Fühlen Sie sich traurig, machen Sie sich verstärkt Sorgen? Was haben Sie für Fragen? Das bekommt leider gar keinen Raum.
Letztendlich muss außerdem schnell gehandelt werden können. Frauen sollten über die Krankenkassen schnell Zugang zu psychotherapeutischer Begleitung bekommen, ohne Wartezeiten und große Hürden – zum Beispiel durch Onlineangebote.
Lies auch die weiteren Beiträge aus dieser Interview-Reihe:
NATALIE SAMIMI
Als Psychologin, Systemische - und Hypnotherapeutin begleitet Natalie Samimi Menschen aller Altersstufen in Krisen- und Entscheidungssituationen. Ihre Leidenschaft gilt jedoch dem Thema Postpartale Depressionen. Denn während ihrer früheren Arbeit als Hebamme und Stillberaterin hat sie gemerkt, wie groß der Bedarf bei Frauen und Familien und wie wenig erforscht der ganze Bereich auch heute noch ist. Der Expertin liegt es besonders am Herzen, für das Thema zu sensibilisieren und der Diagnose ‘Wochenbettdepression’ ihren Schrecken zu nehmen.
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